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Gemeinschaft

Dormagen liegt nördlich von Köln und seine Dämme ziehen sich unter einem hohen Himmel durch das Land am grauen Rheinwasser. Es ist ein guter Ort, um die Einsamkeit zu genießen.

In Köln haben wir Kameradistinnen den Dokumentarfilm „Sachamanta“ im ehrwürdigen Filmclub 813 gezeigt. Der Film erzählt eine Geschichte aus dem kargen Norden des fernen Argentiniens. Fern ist diese Geschichte von Köln und allen deutschen Städten und fern ist sie unserem Denken und Fühlen.

Lange Zeit hatten die Menschen der Region Santiago del Estero ihre Ruhe. Ihr Land war so karg wie wertlos. Die Campesinos gewannen dem Boden das Notwendige ab. Doch dann änderten der weltweite Bedarf nach Soja, optimiertes Saatgut und neue Düngemethoden die ökonomische Situation schlagartig. Das karge Land wurde plötzlich wertvoll. Große Unternehmen kauften gefälschte oder echte Landtitel in Buenos Aires und schickten ihre Schläger mit Bulldozern und Stacheldrahtzäune in die Region. Die Campesinos fanden sich mitten in einem Abwehrkampf gegen Landgrabbing wieder.

Es ist ein Kampf, den sie gewinnen. Gegen alle Chancen. Gegen alle Erwartungen. Gegen alle Erfahrungen. Der Kölner Filmemacher Rainer Knepperges saß in der Vorstellung von „Sachamanta“ im Club 813. Dann ging er heim und schrieb eine Kritik. In ihr heißt es:

“Aus amerikanischen Western kennt man solche Kinoheldinnen, die irgendwo in der Weite eines kargen Landes leben, und die trotzt ihrer Not zu beneiden sind um ihren Mut. Menschen, deren Stärke schon deshalb zu bewundern ist, weil jeder Einzelne von der Angst spricht und sich erinnert an die Schwäche vor dem Zusammenfinden zu einer Gemeinschaft.”

In unserem Land haben wir den Gedanken der Gemeinschaft mit dem Befremden verwoben. Es macht uns misstrauisch, uns auf andere verlassen zu sollen. Wir fürchten die Vereinnahmung und wir pflegen unsere Einsamkeit in der Illusion von Individualität.

Kleidung, Musikgeschmack oder Hobbys sollen uns Einzigartigkeit schenken. Die Gemeinschaft droht uns aus der Vergangenheit als eine tumbe Masse aus gereckten Armen oder roten Fahnenmeeren. Wir haben uns auf die winzige Gesellschaft zurückgezogen, deren Wärme wir im Schachclub, im Fußballverein oder im Freundeskreis finden. Wir haben uns selbst wehrlos gemacht. Unser Steuergeld rettet Banken. Es finanziert Panzer für Kriege, die wir nicht wollen. Es ist aus unseren Schulen geflohen und lässt die Ärmsten der Armen im Stich. Man hat uns die Demokratie weggenommen. Der Markt ist nun unser Herrscher.

Und alles was uns bleibt, ist die Vorstellung, dass es sich bei uns noch recht gut leben lässt und es anderswo gewiss viel schlechter zugeht. Anderswo aber gibt es Gemeinschaft.

Nicht nur in Köln waren wir Kameradistinnen dabei, wenn der Abspann endete, das Licht anging und die Geschichte der Campesinos erzählt war.  In vielen deutschen Städten waren die Dinge ganz ähnlich. Nicht wenige Menschen hatten nasse Augen. Aber sie hatten auch etwas mit ihren Händen gemacht. Die einzelnen Finger waren verbunden.

Sie hatten ihre Fäuste geballt.