© 2016 . All rights reserved.

Flucht

Das ist K. Er floh aus einer brennenden, zerschossenen und zerbombten Stadt auf gewundenen Wegen bis nach Berlin. Wenn er seine Augen schließt, wird es nicht vollständig dunkel. Hinter seinen Lidern lodern Häuser, bluten Menschen und die Maschinen der Gewalt spucken ihre Feuergarben.

K. ist ein Maler. In einer Berliner Flüchtlingsunterkunft fragte K. sofort nach Farben und Papier. Die ersten Bilder, von denen er seine Augen befreien konnte, zeichnete er auf alten Kartonstücken mit Kugelschreiber, Kohlenstücken und Lippenstiften.

Die aktuelle Debatte um Migration ist größtenteils uninformiert, bigott, emotional distanziert und in Teilen ekelhaft rassistisch. Eine aufrichtige, informierte und empathische Debatte begänne mit zwei Herausforderungen. Eine betrifft das Nachdenken über das Individuum. Die zweite betrifft das Verstehen des globalen ökonomischen Systems.

Die erste Herausforderung besteht darin, den Versuch zu unternehmen, sich vorzustellen, was Menschen wie K. sehen, wenn sie die Augen schließen. Wer diese Aufgabe nicht angehen mag, wer vor ihr fliehen will, um das eigene kleine Herz, den eigenen kleinen Verstand oder auch nur die eigene eitle Blasiertheit zu beschützen, hat jede Chance verwirkt, darüber sinnvoll zu urteilen, ob K. in der Bundesrepublik eine Heimat finden darf, wenn er das wünscht.

Die zweite Herausforderung lautet, endlich zu erforschen und zu verstehen, worin die kausalen, globalen Verknüpfungen bestehen zwischen der Wirtschafts- und Außenpolitik des Westens einerseits und den Gründen für Elend, Krieg, Tod und Vertreibung in der Ländern des Südens andererseits. Wer sich dieser Aufgabe durch intellektuelle Flucht entzieht, hat weder die objektive Fähigkeit, noch ein Scheißrecht, politisch sinnvoll über Migration zu reden oder gar zu entscheiden.