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El Filtro

Filtro heisst eigentlich nicht Filtro. Er heisst Viktor. Aber an der Radiostation FM del Monte in Quimili haben sie dem Mann einen neuen Namen gegeben.

Filtro zeigt gerne auf Dinge. Er deutet auf vorbeifahrende Laster, auf die Kolibris in den Bäumen oder auf eine gähnende Katze, die neben seinem kleinen Haus aus Stein liegt, das ihm die Leute des Mocase gebaut haben. Filtro sagt sehr gerne Amiga und Amigo und er lacht häufig. Aber er schweigt auch gern und legt dann für lange Zeit seine Stirn in tiefe Falten.

Im „Tante Emma Laden“ der Bewegung kauft Filtro sein Essen und die Dinge des täglichen Bedarfs auf Kredit. Einmal im Monat zahlen die Leute des Mocase seine Rechnungen. Sie waschen ihn auch, wenn er es vergisst.

Filtro geht gerne spazieren. Er läuft dann die Landstraße von der Radiostation bis ins Stadtzentrum von Quimili und grüßt jeden Laster, jedes Auto, die Passanten, die Besitzer der Geschäfte und die Arbeiter auf den Baustellen. Die meisten Menschen grüßen zurück oder ihn schon zuerst. Er ruft ihnen dann zu: „Hallo, geht es gut, du armer Mensch.“ Und sie antworten: „Filtro, es mir geht gut. Wie läuft es denn bei Dir?“ Dann lacht Filtro und ruft „hey Amigo“.

Nach urbanen Maßstäben wäre Filtro ein geistig Behinderter. In europäischen Dörfern wäre er der Dorftrottel. Aber in Quimili passen diese Begriffe nicht. Filtro ist einfach Filtro. Er gehört zur Bewegung der Campesinos.

Als ich Tage später und hunderte von Kilometer nördlich von Quimili in Las Lomitas den Laptop aufklappte, um unseren Dokumentarfilm „Sachamanta“ an der Radiostation Paj Sachama für die Vorführung bereit zu machen, da entdeckte die kleine Caro die Fotos von Filtro. Sie holte alle Leute auf dem staubigen Platz vor der Station zusammen, brachte sie vor den Bildschirm und rief immer wieder begeistert den Namen des Mannes, der so gerne „hey Amigo“ sagt.

Es gibt zwei verschiedene Geschichten, die erklären, warum Victor den Namen Filtro erhielt. Als die Campesinos Filtro bei sich aufnahmen, da lebte er zuvor wie ein Hund bei anderen Menschen, die ihn hungern ließen und mit Stahldraht schlugen. Er sprach kaum. Er aß wenig. Aber er rauchte gerne und gierig. Weil er die Zigaretten bis zum Filter rauchte, nannten ihn seine neuen Freunde „Filtro“. Es gibt aber auch eine zweite Geschichte.
Filtro heisst Filtro, weil er der Filter der Bewegung wurde. Weil er immer in der Nähe der Bewegung ist, trifft er jeden Menschen, der zu ihr stößt. Der Mann, der Mühe hat, sich alleine zu waschen, macht dann langsam Mate, hört zu und beobachtet sehr genau. Ein Auge hält er weit offen. Das andere ist halb geschlossen. Dann sagt Filtro den waffenlosen Kämpfern der Bewegung, was er sieht. Er sagt seinen Freunden, ob man Vertrauen haben kann. Er sagt dann „Amigo“ oder „milimetra/o“. Das bedeutet, dass alles gut ist. Oder er schweigt und geht davon.

Als Filtro Viviana und mich seine Freunde nannte, hatten wir Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

 

 

Filtro