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Machtfragen

Fotografie ist Spaß. Sie ist Kunst. Sie ist Lust für Formen und Farben. Sie ist die Freude über den eingefangene Augenblick, der sich nie wiederholt und dennoch nie verloren geht.  Sie ist Hobby. Sie ist Beruf. Sie ist Manie. Sie ist Leidschaft. Für mich ist sie auch die Suche nach Wahrheit. Fotos lügen nicht. Sie sind keine Zeichnungen. Sie zeigen die Realität. Ist das wahr?

In unserer Zeit haben Chips den Film ersetzt und Computer die Dunkelkammer. Mausklicks machen Altes wieder jung und trimmen Neues auf alt. Jeder Mensch kann schön werden. Jeder Schnappschuss Kunst sein. Jeder trübe Tag kann goldener Sommer sein. Die Farben kommen aus der Palette und nicht aus der Wirklichkeit. Wo Kontrast fehlt, wird er hinein geregelt. Für die Schärfe sorgt ein Filter. Für die Unschärfe auch. Die digitale Revolution hat das Fotografieren verändert.

Die digitale Revolution hat auch unsere Wahrnehmung von Realität verändert. Wenn wir  uns im Internet eine Urlaubsreise zusammenklicken, dann achten wir dabei auf den blausten Himmel, den wir bekommen können. Es ist ein irrealer Himmel. Wenn wir uns über die Reichen und Schönen informieren, dann staunen wir kaum mehr, dass sie über zwanzig Jahre keine Falten im Gesicht entwickeln. Es sind retuschierte Gesichter. Wenn wir die Nachrichtenportale besuchen, dann sehen wir immer öfter abstrahierte Illustrationen aus den Datenbanken der Stockfotografie nicht aus dem Augenblick der Nachricht. Das ist Betrug an unseren Sinnen.

Vor zwanzig Jahren war die Manipulation eines Fotos ein zeitaufwändiger und kostenträchtiger Kraftakt aus Unmengen von Versuchen. Jeder Versuch kostete Fotopapier, Chemikalien,  den wedelnden Einsatz von Fingern und Lochmasken und vor allem jede Menge Nerven. Diese Mühe macht sich nur, wer keine Alternativen zu seinem Tun erkennt. Doch die gab es. Die einfache Alternative zur umfangreichen Retusche eines Bildes war die Hinterfragung und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten beim Fotografieren. Ganz zwangsläufig sorgte das für einen größeren Realitätsbezug der Fotografie.

Alles was sich Mensch auf einem Foto wünscht, ist in der Welt. Es gibt goldgelbe Sommertage in ihr, rasende Geschwindigkeiten, unfassbare Ruhe, morbide Ruinen in der ländlichen Abenddämmerung und blauen Stahlbeton im Herzen einer City, faszinierende menschliche Gesichter jenseits der banalen Kategorien von schön oder hässlich. In ihnen findet sich Verzweiflung, Hoffnung, der Kampf für Gerechtigkeit oder nur unbändiges Lachen. Es ist alles da draußen und es gibt für jeden genug davon. Die Welt ist es, die uns etwas zeigen kann, wofür jeder Bildbearbeitung der Filter fehlt: Realität und Wahrheit.

Ich glaube, gerade die sogenannten Amateurfotografen sollten sich auf beides wieder besinnen. Es gibt Vorbilder. Im Netz finden sich viele kluge Seiten von politischen Bloggern, deren tägliche Texte im Wettbewerb stehen zu den großen Medienkonzernen.  Sie richten sich gegen eine fabrizierte und künstliche Nachrichtenwelt.  Sie ersetzen die Macht der Wenigen durch die Stimmen der Vielen. Ich sehe keinen Grund, warum Fotoblogger hier keine Inspiration finden sollten. Statt in ihren Arbeiten den blassen Retrolook der Mode- und Musikmagazine abzukupfern, können sie auf die Suche gehen nach  Farben der echten Welt. Statt die eigenen Freunde wie einen fiktiven Star zu fotografieren, können sie mit ihren Fotos nach Charakter und Würde in den Gesichtern der Menschen suchen, die sie schließlich mögen und lieben.

In Mexis Liste der Fotoblogs aus dem deutschsprachigen Raum gibt es viele Beispiele für ein Umdenken. Da sind die Abschiedsbilder eines Hauses (Daniel Schmitt) kurz vor dessen Abriss. Da sind Don Paolos kubanische Impressionen,  Schmidts Straßenszenen aus Hamburg und „Laura mit der Kamera“ feiert ganz echt ihre Jugend.

Der Philosoph Noam Chomsky glaubt, dass der Kampf um die Realität ein Kampf um die Macht ist. Es ist gut, dass die Fotografie digitalisierte. Photoshop ist ein großartiges Programm. Nie zuvor war es so vielen Menschen möglich, für so wenig finanziellen Einsatz so viel Fotografie zu betreiben. Wir alle, die wir gerne fotografieren, tun das aus Freude aus der Fotografie. Doch wir können dabei auch lernen, unsere Macht zu gebrauchen.Kein blauer Himmel ist schon ein Statement.