Diana Melville ist interdisziplinäre Meereswissenschaftlerin und unterrichtet am College of the Marshall Islands. Wir treffen Diana im Dörfchen Lojkar auf der Ozeanseite der Insel. Eine stürmische See schickt harte Wellen gegen das Ufer. Nicht wenige schlagen über die Seemauer und sammeln sich zu salzigen Pfützen.
Diana deutet auf den weiten Ozean, lässt ihren Finger dann entlang der Küstenlinie ziehen. Sie erklärt uns das empfindliche Stück Land, auf dem wir stehen.
„Die See ist sehr tief hier“ sagt sie. „Aber unter uns verläuft der Kraterrand eines unterseeischen Vulkans, vor Millionen von Jahren erloschen. Korallen brauchen Licht, um zu wachsen. Der Kraterrand lag nur wenige Meter unter der Meeresoberfläche. Hier siedelte sich die Korallen an und so wuchs allmählich Land aus dem Wasser. Aber der Kraterrand wurde schon vor Urzeiten zerstört. Er verläuft nicht gleichmäßig und es fehlen Teile. Über seinem größten Teil wuchs Majuro und die kleineren Teile sind die kleinen Inselchen da hinten.“
Diana stammt aus Trinidad und Tobago. Als sie dort der Ruf an das College in Majuro ereilte, nahm die alleinerziehende Mutter einer vierjährigen Tochter sofort an. Aber ihre Familie, die hielt sie für übergeschnappt. Ob sie das Kind nicht lieber noch eine Weile bei der Großmutter lassen wolle? Diana lehnte ab. Ob sie wisse, worauf sie sich da einließe, an diesen Ort auf der anderen Seite der Welt zu gehen, ein Fitzelchen Land kaum drei Meter über dem Meeresspiegel, geplagt von Stürmen und Dauerregen.
Diana wusste es nicht und packte die Koffer gleichwohl.
Ihre Entscheidung hat sie nicht bereut. Hier auf den Marshallinseln erfahre sie nun endlich wieder den wirklichen Sinn der Wissenschaft. Es ginge schließlich darum, tiefe Lücken im Wissen zu beheben, statt beständig an dem herumzuforschen, was im Großen und Ganzem längst geklärt sei. Und an Lücken gebe es in ihrem Fachgebiet an diesem Ort keinen Mangel, denn keine Untersuchung könne jetzt noch einen Sinn machen, in der der Klimawandel unberücksichtigt bliebe.
Und für ihre Tochter sei es ein wunderbarer Ort. Es ist so friedlich hier. Und von den Leuten hier könne die Kleine viel Gutes lernen, Haltungen für das Leben. Es gibt hier keinen Widerspruch zwischen Fröhlichkeit und Zurückhaltung, keinen Widerspruch zwischen Erfolg und Bescheidenheit und keinen Widerspruch zwischen Mut und Vorsicht.
Es beginnt zu regnen und Diana zeigt auf einen Baum mit einer dichten Krone am Ufer in unserer Nähe. „Nur für alle Fälle“, sagt sie, „Dort solltet ihr euch bei Regen mit eurer Kamera besser nie unterstellen. Es sieht verlockend aus. Aber die Blätter des manchineel tree sondern bei Regen einen ätzenden Saft ab. Jetzt habt ihr was Wichtiges gelernt, oder?”
Diana lacht. Der Regen ist so warm, dass er uns nicht stört. Wir bleiben einfach noch eine Weile sitzen.