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Angst

Am 1. April 2012 fotografierte ich für die Helmholtz-Gemeinschaft die Sonntagsvorlesung in der Humboldtuniversität. Zwei Dozenten sprachen dort über die Vielfalt des Lebens in den Städten der Menschen. So seien Tauben eigentlich Felsnister und suchten nun ihr Zuhause in den Gipfeln der höchsten Häuser. Nach der Vorlesung ging ich nachdenklich über die Linden und die Friedrichstrasse zum S-Bahnhof.

Vor nur einigen Jahren waren Bettler*innen in Berlin selten. Die allermeisten Menschen lebten in Häusern und die Tiere auf der Strasse. Ich sah die Frau und ihr Kind in der Fußgängerpassage gegenüber des Kulturkaufhauses. Ich hockte mich hinter ihnen auf den Boden und schoss das erste Bild unbemerkt. Ein Passant beschimpfte mich: Warum müsse ich das Elend auch noch fotografieren?

Der Passant meinte wohl, dass es schon schwer genug war, das Elend zu übersehen. Elend macht Angst. Es verdeutlicht uns wohl, dass es nicht länger wahr ist, dass Menschen meist in Häusern wohnen. Ich ging um die Frau und ihr Kind herum und hockte mich zu ihnen. Sie sprach etwas Englisch. Sie kam aus Tschechien. Ich schenkte ihr zehn Euro und schoss zwei weitere Bilder. Dann fuhr ich warm und sicher heim in die Behaglichkeit einer Wohnung und fühlte Angst, Wut und Scham.